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Zweiter Raum

Die neuen Abbilder von Heiligen, Fürsten oder Bürgerlichen besitzen unerhörte Präsenz. Dies entspricht dem gewandelten Zugang ihres Publikums zu weltlicher und geistiger Realität. Unabhängig vom Grad seiner Bildung schätzte es die neue Bildrhetorik. Ob zu Andacht, Repräsentation oder Unterhaltung: Das Kunstwerk sollte ebenso geistig erfassbar wie emotional erfahrbar sein.

Der burgundische Hof war im 15. Jahrhundert tonangebend in Etikette und Mode. Für Höflinge war der modisch gespreizte Schritt vielleicht nur ein Trend. Malern und Bildhauern boten sich dagegen ungeahnte Mittel: Aus dem „verschränkten Stand“ heraus schraubt sich die moderne Skulptur um ihre eigene Achse. Körper aus Holz oder Stein scheinen jetzt plötzlich zu leben.

Vielleicht hatte Erasmus Grasser in seiner Gesellenzeit den Nördlinger Altar des berühmten Niederländers studiert. An der neuartig bewegten Skulptur kam der Nachwuchs nicht vorbei. Auch bayerische Heilige und Propheten übten sich nun im „burgundischen Schreiten: Das linke Bein gestreckt, den Fuß rechtwinklig vor das rechte Bein gestellt.

Der Bildhauer Nikolaus Gerhaert von Leiden (um 1430 bis 1473) inspirierte auf seiner Wanderschaft Künstler in ganz Europa. Neuartig räumlich, unnachahmlich elegant, dabei dramatisch bewegt : Seine Skulptur ergriff die Zeitgenossen ganz unmittelbar.

Grassers Vorgänger und Zeitgenossen hatten viel erreicht: Michel Erhart aus Ulm schuf Madonnen von höchstem Geist und Eleganz. Veit Stoß aus Nürnberg war Meister des innerlichen Dramas. Der Salzburger Michael Pacher verband Malerei und Schnitzkunst auf höchstem Niveau.

Die neue Wirklichkeit erfasst die Kunst in ganz Europa. Die Renaissance Italiens schult sich an der realitätsliebenden Antike. Auch mitteleuropäische Künstler bilden Personen und ihre Umwelt detailgetreu ab - und doch scheinen spätgotische Bildwerke stets bemüht, ihre Geistigkeit zu beweisen.

Malerei und Schnitzkunst eroberen im 15. Jahrhundert die würdigsten Orte und lösen die Architektur als Leitkunst ab. Moderne Hallenkirchen bilden den Schrein für kostbare Bildkunst. Heerscharen von heiligen Gestalten und Herrschern bevölkern Grabmäler und Schnitzaltäre, deren üppiges Rankwerk in lichte Gewölbe emporrankt.

Geld allein bedeutet nicht Glück: Hohe Investitionen in profane und sakrale Kunst sollen Status und Seelenheil der wohlhabenden Kundschaft sichern. Ob fromme Geistigkeit oder dramatisches Gefühl - in der Darstellung ist jetzt menschliche Nähe gefragt, weniger entrückte Jenseitigkeit. Heilige tragen Bürgergesichter, Grabskulpturen sind realistische Totenportraits.

Als Grasser seine Karriere beginnt, sind Gesellschaft und Kunst im Aufbruch. In Deutschland profitieren Künstler von der Konkurrenz rivalisierender Bischöfe und Fürsten. Als dritte Kraft tritt das aufstrebende Großbürgertum hinzu. Die neuen Reichen dominieren die damaligen Zukunftsbranchen Bergbau, Fernhandel und Bankwesen. Ihre Handelsimperien sind weltumspannend.

In einer Urkunde von 1507 wird Grasser erstmals als “paumeister” bezeichnet. Schon früher bewies er sich als Architekt von Rang: Seit 1487 plante er den Neubau des Benediktinerklosters von St. Gallen in Rorschach. 1490 erweiterte er die Kirche der reichen Silberbergwerksstadt Schwaz in Tirol. Bis zu seinem Tod leitete er die Sanierung der Saline Reichenhall, eine der wichtigsten Einnahmequellen der bayerischen Herzöge.

 

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