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Zweiter Raum

Erasmus Grassers Figuren trugen eine markante Handschrift. Bestimmte Typen, Gesten und Gesichter waren dem Münchner Publikum bald vertraut. Lange Nasen, ausdruckvolle Augen und fliegende Haarlocken wurden zu Markenzeichen der Grasser-Werkstatt.

Auch in München hatten sich die Ansprüche an die Kunst verändert. Lebensnähe, Räumlichkeit, Geistigkeit und Gefühl – was immer Auftraggeber verlangten, Grassers Arbeiten trafen den Geschmack am besten. Schnell, zuverlässig und in hoher Qualität.

Das Publikum des Spätmittelalters betrachtete Kunstwerke nicht distanziert. Die Menschen versetzten sich in die Figuren hinein und fühlten das Geschehen mit. Personen wirkten jetzt lebensecht, Räume und Hintergründe täuschend real. Künstler in Italien, Flandern oder Prag hatten um die Mitte des 15. Jahrhunderts die geeignete Bildsprache entwickelt.

Grasser war gefragt, wenn anspruchsvolle Aufgaben nach originellen Lösungen verlangten. Wie kein anderer Münchner Bildhauer konnte er gedankliche Tiefe mit glaubhaftem Ausdruck verbinden. Mit dem Wandepitaph für den Dekan Dr. Ulrich Aresinger in der Pfarrkirche St. Peter formte er ein geistvolles theologisches Programm in anschauliche Bilder.

Als Grasser 1480 die Figuren der Moriskentänzer übergab, hatte er für München einen neuen Maßstab gesetzt. Seine Schnitzwerke waren in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Solch körperliche Präsenz, solch lebensechte Beweglichkeit, solch packender Ausdruck waren hier bislangnicht zu sehen.

München war keine künstlerische Provinz, doch es mangelte an Künstlern mit überregionaler Ausstrahlung. Grasser startete nach seiner Ankunft furios. Wappen, Sonne und Mond für das neue Tanzhaus erregten Aufmerksamkeit. Dieser Künstler gab sich nicht mit schlichten Lösungen zufrieden.

Erasmus Grasser war handwerklich perfekt und künstlerisch auf der Höhe der Zeit. Als Zugereister war er kaum an einheimische Traditionen gebunden. Besser als seine Münchner Konkurrenten verstand er, aus Holz oder Stein körperlich bewegte und emotional bewegende Bildwerke zu schaffen.

Trotz aller Widerstände - Erasmus Grasser war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als er in München ankam, vergaben Herzöge und Bürgerschaft zahlreiche anspruchsvolle Kunstaufträge. Ihr Anspruch wies über das bisherige Niveau weit hinaus. Mit althergebrachten Mitteln war das nicht zu schaffen.

Wie lässt sich der erstaunliche Erfolg des jungen Außenseiters erklären? Vieles sprach gegen eine schnelle Karriere Grassers. Er stieß München auf einen etablierten Kunstbetrieb, der unliebsame Konkurrenz von außen fernhalten wollte.

Als der Betrieb Skuplturenwerkstatt gesichert war, begann Erasmus Grasser eine zweite Karriere als Architekt und Ingenieur. 1487 plante er den Neubau des Klosters Rorschach für die Benediktinerabtei St. Gallen. 1492 erweiterte er die Stadtpfarrkirche in Schwaz (Tirol) und konstruierte eine neue Turmuhr.

1498–1512 sanierte er die herzoglich-bayerische Saline Reichenhall. In der Münchner Frauenkirche wurde um 1500 eine astronomische Uhr mit beweglichen Figuren aufgestellt. Vieles spricht dafür, dass auch sie von Grasser stammt.

Mit dem beruflichen Aufstieg gingen gesellschaftliche Anerkennung und Wohlstand einher. Seit 1480 stand Erasmus Grasser mehrfach der Zunft St. Lukas vor. 1507 stiftete ihm Herzog Albrecht IV. für Sparsamkeit beim Salinenbau eine jährliche Leibrente von 80 Gulden, freies Hofkleid und Freitisch bei Hof. 1508 war er reichster Künstler Münchens. Von 1512 bis zu seinem Tod 1518 war Erasmus Grasser Mitglied des „Äußeren Rates“, dem obersten politischen Gremium der Stadt München.

 

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