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zwei kurze Fundstücke:

Maria, die zweite Frau Max. I. war ja als Tochter Karls d. Kühnen (+1477) die Erbin Burgunds, d.h. Max. erbte mit der Heirat 1477 ganz Burgund (Flandern erkannte Rechte Max. I. erst 1489 an). Max. war also auch Herzog von Burgund! Das war mir in dieser Dimension noch nicht klar.

Hl. Mauritius war ein Ägypter. Aus seinem Namen (lat. "Maurus" heißt "Nordafrikaner") leitet sich das mittelalterliche dt. Wort "Mohr" ab. Und: Mauritius wurde (im 6. Jhd.) der Schutzpatron Burgunds! (ob das auch noch für das Burgund des 15. Jhd. zutraf, weiß ich nicht, würde aber zu der ganzen Moriskenkultur am burg. Hof passen.
Unter den Saliern wurde er auch Reichspatron (passt wieder ganz gut zu Maximilian).

arbeite ich gerade und stelle sie heute noch in den Blog - natürlich ist die Liste noch unfertig). Könntest du eine eigene Rubrik im blog für Abb. einrichten, ebenso eine für offene Fragen, die noch recherchiert werden müssen?

... auf anhieb, ohne die details schon bedacht zu haben:

das gefällt mir schon sehr gut. jetzt geht es wohl vor allem darum, gleichzeitig die "vertiefung" zu planen. ich mache das fürs tanntzhauss. vielleicht versuchst du das für die kunstgeschichte. nota bene: das muss ja nicht vier screens lang sein! wenn es nur zwei sind, sind es halt zwei.

und könntest du dazu/nebenbei eine liste mit allen bildern anlegen, die für uns wicht sind/sein könnten? du hast ja die bücher. und jeweils die quellenangaben/fundorte dazu schreiben.

Vielleicht wanderte Erasmus Grasser in seiner Gesellenzeit auch nach Nördlingen und studierte den Schnitzaltar von Nikolaus Gerhaert. In jedem Fall übernimmt er das markanteste Stilelement des berühmten Niederländers - den linken Fuß, im Winkel von 90 Grad vor das rechte Bein gestellt: Auch Bayern übt sich im „burgundischen Schreiten“.

Für die Höflinge war es vielleicht nur ein Modetrend, für innovationsfreudige Künstler wie Grasser dagegen eine Offenbarung: Aus dem rechtwinkligen Schrittstand heraus schrauben sich die modernen Skulpturen kraftvoll um ihre eigene Achse. Körperlose Gestalten, gleich leblosen Gewandpuppen, gehören der Vergangenheit an.

Abbilder von Heiligen, Fürsten oder Tänzern agieren jetzt mit noch nie dagewesener Präsenz. Dies entspricht dem gewandelten Zugang ihres Publikums zu weltlicher und übersinnlicher Realität. Unabhängig vom Grad seiner Bildung schätzt es die zupackende Bildsprache. Ob zu Andacht, Repräsentation oder Unterhaltung: Das Kunstwerk soll ebenso geistig erfassbar wie emotional erfahrbar sein.

Die neue Wirklichkeit erfasst die Kunst in ganz Europa. Die Renaissance Italiens schult sich an der realitätsliebenden Antike. Auch mitteleuropäische Künstler bilden Personen und ihre Umwelt detailgetreu ab - und sind doch im Dilemma: spätgotische Bildwerke scheinen dem Betrachter ständig ihre Geistigkeit beweisen zu wollen.

Grassers Vorgänger und Zeitgenossen haben viel erreicht: Michel Erhart (seit 1469 tätig in Ulm) schuf Madonnen von unerreichtem Geist und Eleganz. Veit Stoß (um 1488 bis 1533, tätig in Nürnberg, Wien und Krakau) war Meister des innerlichen Dramas. Michael Pacher (um 1435 bis 1498, tätig u.a. in Salzburg) verband Malerei und Schnitzkunst auf höchstem Niveau.

Wichtigstes Vorbild für Erasmus Grasser war sicherlich der Bildhauer Nikolaus Gerhaert von Leiden (um 1430 bis 1473, tätig u.a. in Straßburg und Wien). In seiner Skulptur verbinden sich bürgerlich-flämische Wirklichkeitstreue mit der höfisch-gespreizten Eleganz Burgunds. Sein „verschränkter Stil“ inspiriert junge Künstler in ganz Europa.

Als Grasser seine Karriere beginnt, sind Gesellschaft und Kunst im Aufbruch. In Deutschland profitieren erstklassige Künstler von der Konkurrenz rivalisierender Bischöfe und Fürsten. Als dritte Kraft tritt das aufstrebende Großbürgertum hinzu. Die neuen Reichen dominieren die damaligen Zukunftsbranchen Bergbau, Fernhandel und Bankwesen. Ihre Handelsimperien sind weltumspannend.

Geld allein bedeutet nicht Glück: Hohe Investitionen in profane und sakrale Kunst sollen Status und Seelenheil der wohlhabenden Kundschaft sichern. Ob fromme Geistigkeit oder dramatisches Gefühl - In der Darstellung ist jetzt menschliche Nähe gefragt, weniger entrückte Jenseitigkeit. Heilige tragen Bürgergesichter, Grabfiguren wandeln sich zu Totenportraits.

Malerei und Schnitzkunst eroberen im 15. Jahrhundert die würdigsten Orte und lösen die Architektur als führende Kunst ab. Moderne Hallenkirchen bescheiden sich als Schrein für kostbare Bildkunst. Heerscharen von heiligen Gestalten und Fürsten bevölkern thaetralische Grabmäler oder prächtige Schnitzaltäre, deren vergoldetes Rankwerk in lichte Gewölbe emporwächst.

Über seine Ausbildung wissen wir wenig. Ging er zur Lehre nach Regensburg? Es war das nächste Kunstzentrum in seiner Heimat. An der Dombauhütte könnte er Skulptur und Baukunst erlernt haben. Ähnlich wie Leonardo da Vinci war Grasser ein Multitalent: Bildhauer, Architekt, Ingenieur und Maschinenkonstrukteur.

Schon bald nach seiner Ankunft war Erasmus Grasser der führende Münchner Bildhauer. Den Auftakt bildete der repräsentative Zyklus mit Sonne, Mond, Wappen und Moriskentänzern für das Münchner Tanzhaus von 1478 bis 1480. [Zitat JR - umformulieren! „Wann immer Auftraggeber das Ausgefallene, Neue und besonders Schwierige erwarteten, baten sie Grasser um Angebot und Entwurf.”]

In einer Urkunde von 1507 wird Grasser erstmals als “paumeister” bezeichnet. Doch schon früher bewies er sich als Architekt von Rang: Seit 1487 plante er den Neubau des Benediktinerklosters von St. Gallen in Rorschach. 1490 erweiterte er die Kirche der reichen Silberbergwerksstadt Schwaz in Tirol. Bis zu seinem Tod leitete er die Sanierung der Saline Reichenhall, einer der wichtigsten Einnahmequellen der bayerischen Herzöge.

Wer war der geniale Ruhestörer? Wenig ist überliefert: geboren wohl um 1450 im Marktflecken Schmidmühlen in der Oberpfalz. Über seine Eltern wissen wir nichts. In München heiratete er um 1477 Dorothea Kaltenprunnerin aus vermögendem Haus. Möglicherweise waren der Maler Hans und ein gewisser Stephan Grasser seine Söhne.

1490 zählte er als einziger Künstler zu den 30 wohlhabensten Bürgern Münchens. Er besaß Häuser in der heutigen Residenzstraße und in der Kreuzgasse. Ab 1512 gehörte er dem Äußeren Rat an, höchstes politisches Amt für ein Mitglied einer Handwerkszunft. 1518 starb Erasmus Grasser als berühmter Künstler und wohlhabender Bürger in München.

Nicht nur Grassers Arbeiten, auch seine Preise gehörten überregional zur Spitze. So betrug das Honorar für die 16 Münchner Moriskentänzer 172 Pfund - damals der Gegenwert von 50 Kühen oder 1042 Schafen.

Münchner Kunstskandal anno 1475: Die Zunft St. Lukas für Maler, Schnitzer, Seidennäher und Glaser wendet sich mit einer Petition an den Rat der Stadt, um dem dem zugezogenen Bildhauer-Gesellen Erasmus Grasser die Aufnahme in ihren exklusiven Kreis zu verweigern - er sei „ain unfriedlicher, verworner und arcklistiger knecht“, man wolle in „gueter rue“ bleiben.

Sein Charakter war wohl umstritten, sein fachliches Können nicht: Selbst die feindseligen Münchner Zunftmeister mussten in ihrer Klage indirekt anerkennen, dass ihnen mit dem jungen Newcomer ein zumindest gleichrangiger Künstler gegenüberstand: „... Und wir doch wol lewt under uns haben, dy von pillden und massen zwvoran <<kursiv anfang>> alls vil wissen als er <<kursiv ende>> (...)“.

Und wirklich: Grassers trat in der bayerischen Metropole bemerkenswert selbstbewusst auf, begehrte er doch beim Rat nicht nur die Anerkennung als Zunftmeister, sondern auch die Befreiung von Steuer und Wachtgeld - Privileg für hervorragende und etablierte Künstler. Das Kunst-Establishment fühlte sich scheinbar von dem ehrgeizigen Talent bedroht. Wie sich zeigen sollte, zu Recht.

datiert deutlich anders als JMM: Geisberg 383 jetzt 1470 (statt 1460), Geisberg 465 jetzt 1490 (statt 1460). Wirkt sorgfältig recherchiert. Ändert für uns inhaltlich nichts wesentlich, sollte aber bei Verweis auf die Stiche berücksichtigt werden.

Was wäre eine Tanzdarbietung ohne ein Publikum? Oft betrachten Höflinge oder Bürger das Spektakel durch ein Fenster oder von der Galerie herab. Scheinbar in sicherer Entfernung, doch auch sie sind in Gefahr, jederzeit von der Sünde ergriffen zu werden. [2 Abb.: Meckenem Geisberg 383, um 1470, JMM 39, und HL 1520, JMM 43]

Manchmal agieren die Figuren nicht in einem realen Raum, sondern sind in dornigem Gestrüpp gefangen - eine Allegorie für die Sündhaftigkeit ihres Treibens. [Abb.: Meckenem Geisberg 465, um 1490, JMM 40] Und doch findet auch dieser Tanz vor Zuschauern statt: es sind die Betrachter des Bildwerkes, die ihre eigene Standfestigkeit zu prüfen haben.

Sind die Morisken aus dem Münchner Rathaus Teil einer moralisierenden Allegorie oder fordern sie nur trivial auf zum Tanz? Vielleicht könnten die angeblich fehlenden sechs Figuren darüber Aufschluss geben, von denen das Stadtkammerbuch berichtet. Ohne sie bleiben es zehn rätselhafte Tänzer.

 

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