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Erasmus Grasser wurde für 16 Moriskentanz-Figuren entlohnt, nur zehn sind erhalten. Wen könnten die übrigen dargestellt haben und wo haben sie gestanden? Zu dieser Frage gibt es nur wenige Anhaltspunkte und viele Vermutungen. Eine Eisenradierung von Nikolaus Solis aus dem Jahr 1568 zeigt die Hochzeit Wilhelms V. im Münchner Tanzhaus. Das Blatt ist die älteste erhaltene Ansicht des Innenraumes - rund neunzig Jahre nach seiner Fertigstellung. Das Blatt zeigt Moriskentänzer, die zu beiden Seiten des Tanzsaals vor flachen Wandnischen balancierten. Zwischen ihnen zog sich der Fries der Reichswappen über beide Längswände. Über den Tänzern stiegen verzierte Holzgrate auf und überzogen kreuzförmig das Gewölbe. Daran waren Wappen angebracht. Auf diese Weise bündelte sich in den zehn Nischen die größte Spannung des Raumgefüges. Genau inmitten dieses Kraftfelds tanzten die zehn Figuren. [Abb. Foto (JMM S.75), vor 1943: Längswand mit Gewölbeansatz, mit 1 Nische+Moriskentänzer, Wappenfries und geschnitzte Holzgrate] Es gibt nur zehn Wandnischen. Mehr Orte dieser Art und dieser Bedeutung hat es im Tanzsaal wohl nie gegeben. Wo standen ursprünglich die sechs übrigen Figuren? Auf dem Hochzeitsbild sind Teile der Ausstattung gut erkennbar. Doch interessanter ist, was das Bild verbirgt: Nur vier Tänzer sind zu sehen. Zwei Nischen wirken leer. Hatte man die Figuren dort kurzzeitig entfernt? Vielleicht befanden sich weitere Skulpturen im unsichtbaren Teil des Raumes, zum Beispiel an der Eingangswand? Verhüllt sind auch drei große Radleuchter, hoch über den Köpfen der Festgesellschaft. Ihr Aussehen ist nicht bekannt. Waren dort, verborgen unter Tüchern, die verschwundenen Figuren angebracht?

Sonne, Mond und Planeten wurden in der Kunst von der Antike bis zur Neuzeit häufig als männliche oder weibliche Personen oder als Himmelskörper mit menschlichem Gesicht dargestellt. Sterne werden meist als kleine sternförmige, leuchtende Objekte in großer Zahl abgebildet und waren gemeinsam mit Sonne, Mond und den Planeten an die halbkugelförmige Himmelsglocke oder weitere konzentrische Sphären „geheftet“. Sonne und Mond galten in der Antike als Zeichen herrscherlicher Macht. In christlicher Kunst dienten sie später der Verherrlichung Christi, des himmlischen Herrschers. Häufig sind beide Gestirne auf Darstellungen der Kreuzigung zu sehen - der Mond zur Linken, die Sonne zur Rechten des Gekreuzigten. Die Sonne ist männlich (lat. sol) und wird meist als Brustbild oder als rundes Gesicht auf kreisrunder Scheibe dargestellt. Das Sonnengesicht trägt eine Strahlenkrone auf dem Kopf oder besitzt einen Kreis aus flammenden Strahlen. Der Mond ist weiblich (lat. luna) und kann als Frauenkopf mit einer Sichel im Haar erscheinen. Die am weitesten verbreitete Auffassung des Mondes war im Mittelalter die Verbindung von Sichel und Frauengesicht, häufig zu Füßen der Muttergottes als himmlischer Frau der Apokalypse. Hier gab es drei Varianten: die Mondsichel mit eingeschriebenem Gesicht, ein Gesicht, das in die Sichel hineinblickt und ein Gesicht, das aus der Sichel hinausblickt.

„Turban“: Orientalische Gestalten mit Turban treten in zeitgenössischer Skulptur und Malerei häufig im Zusammenhang mit den Heiligen Drei Königen auf - im Münchner Kunstumkreis gab dafür sogar manchmal der Münchner Moriskentänzer das direkte Vorbild ab. „Mohr“: Am Goldenen Dachl in Innsbruck ist einer der Moriskentänzer ebenfalls als Mohr dargestellt. Vereinzelt gibt es in der mittelalterlichen Kunst dunkelhäutige Schergen, häufiger aber verkörpern Mohren bestimmte heilige Gestalten, z. B. den hl. Mauritius und den hl. König Caspar. „Stulpenstiefel“: Abgesehen vom großen Turban trägt die Figur die zeitgenössische bäuerliche Arbeitskleidung. Die Stiefel sind stark zerschlissen. Eine modische Extravaganz stellt der Turban anstelle des damals üblichen großen Schlapphutes. Bildliche Darstellungen aus dem Mittelalter zeigen Bauern häufig barfuß und ohne Beinkleider. Verglichen damit ist der bäuerliche Moriskentänzer hochwertig gekleidet. „Jagdhut“: Jagdhutähnliche Kopfbedeckungen scheinen in der Mode des Spätmittelalters sehr verbreitet gewesen zu sein und sind häufig in bildlichen Darstellungen auf. „Perlenmütze“, „Löwenmütze“: Die phantasievoll gestalteten Kopfbedeckungen der beiden Tänzer erinnern ebenso wie ihr wilder Gesichtsausdruck an sadistische Schergen, die bei Heiligenmartyrien oder bei der Geißelung, Dornenkrönung oder Kreuzannagelung Christi auftreten.

Elegante und derbe Typen Morisken sind Karikaturen liebestoller Tänzer. Ihr ungehobeltes, oftmals obszönes Auftreten ist Programm. Verglichen mit anderen Darstellungen von Moriskentänzen, wie zum Beispiel am Goldenen Dachl in Innsbruck, benehmen sich die Münchner Figuren relativ gesittet. Dennoch gibt es Unterschiede. Einige bewegen sich elegant und würdevoll, andere sind derb und unbeholfen. In Tracht und Ausdrucksweise offenbaren manche Tänzer ihre Standeszugehörigkeit. In ihren Bewegungen führen sie zudem verschiedene Arten der moriskischen Tanzweise vor, die damals am burgundischen Hof gebräuchlich waren: den gesprungenen und den getretenen Tanz („Hautes et Basses Danses“). Im Münchner Ensemble verkörpert die Figur „Langmähniger“den Typ des elegant-vornehmen Tänzers bürgerlicher Herkunft. Die Figur „Stulpenstiefel“ steht dagegen für den derben und ärmlichen Bauern. Doch nicht alle Tänzer lassen sich eindeutig nach Charakter und Standeszugehörigkeit zuordnen. Die meisten Tänzer tragen sowohl elegante als auch derbe Züge. „Europäer“ und „Orientalen“ Einige der Münchner Moriskentänzern fallen durch betont exotische Aufmachung auf. Turban, Barttracht, dunkle Haut waren damals weit verbreitete orientalische Klischees. Hier scheint sich damit aber keine besondere Wertung zu verbinden: Die Figur „Turban“ übertrifft den „Jagdhut“ weit an Eleganz, der „Mohr“ wirkt nicht derber als die Figur „Agraffenmütze“. „Europäer“: „Langmähniger“, „Agraffenmütze“, „Frauenhut“, „Schildkappe“, „Jagdhut“, „Stulpenstiefel“ (trägt jedoch einen Turban) Orientalen“: „Turban“, „Mohr“, „Löwenmütze“, „Perlenmütze“ Figuren mit und ohne Bart Ob züngelnd zerzaust, elegant gestutzt oder einfältig gezwirbelt: Die Bärte der Tänzer unterstreichen den Charakter ihrer Träger. Sie können aber auch Ausweis ihrer Fremdheit oder ihrer modischen Inkompetenz sein - im späten 15. Jahrhundert waren in Mitteleuropa Bärte weitgehend aus der Mode. Ein weiterer Beweis, wie sich Moriskentänzer zum Narren machen konnten. Bartträger und Bartlose finden sich bei „eleganten“ wie „derben“ Typen sowie bei „Europäern“ wie „Orientalen“. Figuren mit Bart: „Stulpenstiefel“, „Jagdhut“, „Löwenmütze“, „Perlenmütze“ Figuren ihne Bart: „Turban“, „Mohr“, „Langmähniger“, „Agraffenmütze“, „Frauenhut“, „Schildkappe“

Wo sollten sie aufgestellt gewesen sein? Früher gab es eine Musikempore, doch sie trug keinen Figurenschmuck. Vielleicht waren einige Figuren auf großen Radleuchtern hoch über dem Tanzparkett angebracht.

Gab es ein künstliches Publikum im Tanzsaal, wer könnte dargestellt gewesen sein? Vielleicht das Herzogpaar, der Hofstaat, oder die Münchner Bürgerschaft.

Jeder Moriskentanz brauchte ein Publikum. Im Münchner Tanzhaus waren es die leibhaftigen Festgäste. Ob es dazu auch geschnitzte Zuschauerfiguren gab, ist nicht bekannt.

Die Preisrichterin stand im Zentrum des Tanzes. Mit ihr ist den Münchner Moriskentänzern das Ziel ihres Begehrens abhanden gekommen. Wie die schöne Dame aussah und wo sie einst stand, ist leider unbekannt.

Auch der Narr durfte bei Moriskentänzen nicht fehlen. Sicher gehörte auch er zum Münchner Moriskenensemble - im bunten Schellenkostüm, mit Eselskappe und Narrenszepter.

Ohne Spielmann gab es keinen Moriskentanz. Im Münchner Tanzhaus war er einst sicher dabei. Im Aussehen glichen die Spielleute meistens den Tänzern. Manchmal gab es auch musizierende Narren.

 

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