Dritter Raum
Erster Raum
Gliderung
Kosmologisches
Meta
off topic
Offene Fragen
Rohtexte
Vierter Raum
Zweiter Raum
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
icon

 

Rohtexte

Nach: Jürgen Rohmeder: Erasmus Grasser. Bildhauer, Bau- und Werkmeister. Bern 2003 (Peter Lang Verlag)

(A3) Figuren vom ehem. Altar des Salzburger Domes (Jahre vor 1480?), heute in Stiftskirche Nonnberg (W-Empore, nicht zugänglich): Maria und elf Apostelfiguren (12. Apostel Matthias, kurz vorher als 12. A. gewählt, fehlt von vorne herein). Figuren etwa halb lebensgroß.
Darstellung des Pfingstfestes, Augenblick der Überwältigung. Apostel inbrüstig dargestellt, jeder zeigt andere Emotion.
HS S.365: „Sein größter Auftrag, der für seinen weitreichenden Ruf als Bildhauer zeugt“.
RM S. 180, lt. JMM: starke stilistische Ähnlichkeit zu Moriskentänzern: gleiche Physiognomien z.B. wie bei „Längmähniger“, „Jagdhut“, „Löwenmütze“!

(A4) Sog. Monstranzaltärchen (Bayer. Nationalmuseum, ca. Jahre vor 1480?): Flügelaltärchen mit bemalten Flügeln außen, innen Standbilder [im Schrein?!] des hl. Franziskus und hl. Klara. Im Schrein Relief mit Kalvarienberg (mit Soldaten) und vollplastischem Kruzifix.
Zuschreibung zu Grasser wg. Ähnlichkeiten zum Hl.-Kreuz-Altar in München-Ramersdorf sowie die für Grasser typischen Physiognomien.

(A5) Maria und Johannes Ev. aus einer Kreuzigung (Bayer. Nationalmuseum, um 1480), aus Pippinger Kirche St. Wolfgang.
Hochrangiger Auftrag, da Pippinger Kirche von Herzog Sigismund gestiftet (wie Blutenburg)
JR 190: An Johannesfigur Ist der Einfluss der Johannesfigur von Nikolaus G.v.L. vom Hochaltar in Nördlingen (1462) zu erkennen! (Blick weg vom Gekreuzigten gerichtet)
JR 193: Ein Höhepunkt des Schaffens EGs: „skulpturale Qualität und die kalligraphische Schönheit, einfühlsame Darstellung der leidvollen Gefühle und die offenbarte Menschlichkeit ...“

(A6) Wandepitaph für den Dekan Dr. Ulrich Aresinger (München, Pfarrkirche St. Peter, innen östl. Turmwand): Signiert und datiert 1482.
Einsatz moderner Formen und Motive. Anspruchsvolles Programm: Aresinger (hoher Geistlicher und Doktor der kaiserlichen Rechte) erfleht Aufnahme in den Himmel, hl. Petrus und hl. Katharina disputieren darüber. Prophetenbilder von Elias und Elisäus. Hund (Verweis auf Elias und Petrus?), Katz und Maus (auf den Verstorbenen wg. Namenspatron Ulrich). Deutliche stilistische Übernahmen aus Druckgrafik des Meisters E.S.
JR 201: „Einsatz moderner Motive“. JR 195: „Das herausragende Epitaph ... fand in der Grabmalskulptur Nachfolger.“

(A7) Heilig-Kreuz-Altar, Pfarrkirche München-Ramersdorf (ca. um 1482)
Flügeltar mit großem Kreuzigungsrelief im Schrein, Flügelreliefs (außen bemalt: u.a. Szene mit Ludwig d. Bayer, der Ramersdorfer Kreuzreliquie entgegennimmt.). Relief mit Kalvarienberg, z.T. vollrunde Figuren. Zur Linken u.a. Pharisäer und Schergen, röm. Soldaten und Kriegsknechte. Hintergrund: gemalte Flusslandschaft.
JR 209: Einfluss NGvL, vgl. Kruzifix in Baden-Baden und Gekreuzigter von Nördlingen.
Starke Ähnlichkeiten (Mimik, Gestik) zahlreicher Gestalten mit Moriskentänzern, Pharisäer tragen ähnliche Kleidung/Kopfbedeckung wie „Prophet“, „Frauenhut“ oder „Bauer“! EG übernahm seine Inventionen aus den MT für sakrale Aufgaen.
JR: EG entwickelte „im Reliefstil Darstellungsformen ..., die an der Spitze der künstlerischen Entwicklungen der süddeutschen Skulptur standen.“

(A8) Heilige Anna Selbdritt (München, Schlosskapelle St. Ignatius, um 1490). Figurengruppe aus Altarschrein
Ähnlichkeit der Physiognomien mit MT

(A10) Sieben Halbfiguren in Freisinger Dom (um 1493) hinter Liegefigur des Leichnams Christi von ca. 1440. Maria, Apostel, M. Magdalena u.a.. Urspr. Bestandteil eines hl. Grabes.
JR 216: EG verzichtete auf seinen Werklohn (nicht mit seiner Arbeit nicht zufrieden od. aus rel./car. Motiven?)

(A14) Hochaltar St. Peter (um 1500): Urspr. bedeutender Flügelaltar mit Schnitzwerken von EG (Figuren, ca. 2 x 23 Reliefs und verm. Gesprenge usw.) und Tafelbildern von Jan Polack. Sitzfigur hl. Petrus einziger erhaltener skulpturaler Rest, dazu noch 16 Tafelbilder. Hl. Petrus heute in Asam-Hochaltar von 1746 integriert. Urspr. zentrale Figur des Altarschreins, flankiert von hl. Paulus und hl. Andreas. Reliefs zeigten Männer des alten und neuen Bundes. Figur des Petrus: linkes Bein reicht weit über die Mögklichkeit des Sitzens hinaus nach vorne [und ist nach dem Muster des burgund. Schreitens rechtwinklig gestellt?]. Frage nach künstlerischer Oberleitung (Pollack oder Grasser) ist ungeklärt, JR neigt aber zu EG.

(A15) Hl. Georg als Drachentöter (um 1500, Berchtesgadener Schlossmuseum): „Höfische Haltung und Kraft zugleich äußern sich in dem kompliziert verschränkten und dennoch festen Standmotiv des Heiligen.“ Gestauchte Ärmel ähnlich wie bei den Moriskentänzern! Drache ist im Unterschied zu vielen durchschnittlichen „hundeähnlichwn drolligen Zwergbestien“ äußerst vital gestaltet; Vergleich zu ähnlich vitalen Wappentieren im Tanzhaus!

(A18) Chorgestühl der Münchner Frauenkirche (1502 dat., heute Bayer. Nationalmuseum u. Diözesanmuseum Freising)
Urspr. mind. 170 figürl. Teile, davon 128 erhalten oder dokumentiert: Halbfigur eines malweisenden Erlösers (heute Mü., St. Bonifaz), 2x20 halbfigurige Büsten (Männer des AT, Evangelisten, Apostel, Kirchenväter, Kirchenpatrone), 26 ganzfigurige Reliefs (13 Päpste, 13 Bischöfe), 62 männl. + weibl. Statuetten.
JR 247: Künstlerischer Höhepunkt ist die Versammlung der lebhaft disputierenden Männer aus AT (19 Fig.) und NT (21) als halbfigurige Büsten.
Ahnlichkeiten mit MT: Prophet Zephanja mit „Löwenmütze“!

(A20) Doppelfigur Schmerzensmann und malweisender Erlöser (Berlin, Skulpturensammlg., ca. 1502)
Ähnlichkeit zu Stich von Israhel v. Meckenem (JR: aber keine Vorbildfunktion nachweisbar)
JR 269: „... eindrucksvolles ... Werk Grassers von übergeordneter Bedeutung aus den jahren um 1500.“

(A23) Achatius-Altar, Reichersdorf (ca. 1503-06)
Relieffigur des Hl. Achatius gilt als Werk Grassers. Stark erhabenes Relief, nähert sich der vollplastischen Sitzfigur.
JR 275: seltenes Beispiel für „verschränkten Stil“ nach 1490


Werke mit ungesicherter oder irriger Zuschreibung an Grasser

(E5) München, Frauenkirche (Chorumgang), Uhr mit beweglichen Figuren (um 1500): Automatische Fürbittenszene mit beweglichen Figuren: 2 Löwen (schlagen die Uhr), Gottvater (zieht Schwert und steckt es zurück, rollt mit den Augen und öffnet Mund), Maria (hebt den rechten Arm), Christus (rollt mit den Augen und öffnet Mund, bewegt beide Arme), 2 Prediger- oder Propheten (heben Arme); Maße: 40-50 bzw. 10 cm (Prediger).

http://www.uni-mainz.de/~grosskre/arbeau.htm
Ein Kirchenmann als Tanzlehrer

Die »Orchésographie« von Thoinot Arbeau

Das Werk
Genau 200 Jahre vor der französischen Revolution kam im Jahre 1589 das Tanzlehrbuch »Orchésographie et traicté en forme de dialogve, par leqvel tovtes personnes pevvent facilement apprendre & practiquer l'honneste exercice des dances« bei Jehan des Preyz zu Lengres heraus.
Der Verleger behauptet in seiner Vorrede, der Verfasser habe ihm die Veröffentlichung untersagt, weil er das Werk nur aus Zeitvertreib verfaßt habe und es den Druck nicht wert sei. Dies klingt unglaubhaft, denn wir haben mit der »Orchésographie« eines der bedeutendsten Tanzlehrbücher der Renaissance vor uns. Der eigentliche Grund für diesen Wunsch kann nur gewesen sein, daß es sich bei dem Verfasser, der hinter dem Pseudonym Thoinot Arbeau steckt, um den Domherrn Jehan Tabourot handelt, der seine gründlichen Kenntnisse der Tanzkunst aus beruflichen Gründen nicht offenbaren wollte. So »eröffnete er die Reihe der französischen Abbés, die den Galanterien des Lebens nicht unwilliger dienten als den Gesetzen der Kirche« (Oskar Bie).
Tänze und Tabulaturen
Hinzu kommen Erläuterungen, die Arbeau im klassischen Dialog seinem Gesprächspartner Capriol gibt. Die Orchésographie beschreibt Basse danse und Tourdion, französische und spanische Pavane, Galliarde, Volta, Hüpfcourante, Allemande, Moriskentanz, Canaries und Buffons sowie 23 Branles. Pavane, Galliarde, Canaries und Buffons (Schwer

Skulptur in Süddeutschland im 15. Jh.

Hoch entwickelte Bildhauerkunst zur Mitte des 15. Jh.. das aufstrebende Bürgertum hat Bedürfnis, seine eigene Alltagswirklichkeit im Zusammenhang mit seiner Religion zu sehen. “Die Heiligen – noch im 14. Jh. voll ritterlicher Eleganz – werden gegen Ende dieses Jahrhunderts bürgerlich.“ (nach: PM, S.293) Für die Masse der religiösen Skulptur gilt: mehr menschliche Nähe, dafür Verlust an Jenseitigkeit. Nachwirkungen des höfischen „Weichen Stils“ (Schöne Madonnen) überlappen sich mit neuem Realismus (Sluter/Gerhaerdt). Herausragende Künstler wie Claus Sluter (Dijon, um 1390), Nikolaus Gerhaerdt von Leyden (Flandern-Deutschland, um 1460-70) Michael Pacher (Salzburg, ca. 1435-1498), Michel Erhart (seit 1469 in Ulm), Veit Stoß (ca. 1448-1533, Rheinland, Wien <bei N. Gerhaerdt>, Nürnberg <ab 1477> Krakau, Nü. <ab 1496>) und Tilman Riemenschneider (Würzburg, um 1500) verbinden überzeugend bürgerlichen Realismus mit religiöser Innerlichkeit. [Peter Vischer d.Ä. (Nürnberg), ca. 1460-1529: „Astbrecher“ (1490 – „frühestes Kunstwerk der Renaissance in D“, Propyläen KG S.284; Abb. 224), Grabmal Maximilians I. in Innsbruck (1513)].

In Bayern-München herrschte um 1475 qualitätvolle, doch eher konservative Skulptur vor, z.B. Deckplatte aus Rotmarmor des Bischofs Johannes Tulbeck in der Münchner Frauenkirche (um 1476), Gnadenbild der thronenden Muttergottes in Andechs (um 1467), Konsolfiguren und Schlusssteine der Frauenkirche (um 1472/75), Blutenburger Apostel (um 1490). In der unmittelbaren Nachbarschaft entstanden jedoch bereits auch hochrangige moderne Werke wie z.B. der Hochaltar der St. Georgskirche in Nördlingen (um 1462) von Nikolaus Gerhaerdt.
„Die Generation von Bildhauern vor Grasser hat viel erreicht und die Anerkennung als eigenen Beruf durchgesetzt.“ (S.39) Ebenso Emanzipation von der Bauskulptur der Kathedralgotik. In den modernen Hallenkirchen wandelt sich das Gebäude zum Schrein für seinen kostbaren Inhalt. „Das Kirchengebäude sank herab zum gut belichteten Gewächshaus für die zahlreichen farbigen, sich wie Blüten öffnenden und schließenden Altäre.“ (S.39) Gleichzeitig auch steigende Nachfrage nach profaner Skulptur, Kleinplastik und automatischen Figuren (vgl. Straßburg, Astronomische Uhr).
Fazit: Trotz bestehender Restriktionen durch die Zünfte insgesamt glückliche Ausgangslage für Grassers Karrierestart.

(HS, S.361) „Das Schaffen des Schwaben Hans Multscher (1410 in Reichenhofen - 1467 in Ulm) leitet eine neue Phase der deutschen spätgotischen Skulptur ein. Multscher wendet sich von der höfisch-weichen Linienmelodik der Zeit ab und macht den Weg frei zum Realismus eines lebensnahen, selbstbewußten, bürgerlichen Empfindens. Seine Wirkung reicht bis Ingolstadt an den Hof Herzog Ludwigs des Gebarteten [vgl. Modell für das Grabmal HLdG von 1435, im Bayer. Nat.mus.] und über Augsburg nach Landsberg am Lech. (...)

(JR S.41) Gemeinsamkeiten zwischen EGs Aresinger-Stein und Multschers Modell zur Grabplatte Ludwigs d.G. (s.o.)! „Festzuhalten ist, daß der Stil Multschers im Schaffen Grassers eine nicht unwesentliche Komponente bildet, die bereits früh mit oberrheinischen Elementen zu konkurrieren hatte.“ (Otto 1988, zit. nach JR S.41)

Einflüsse auf Grassers Stil dem Zeitgeist folgend ausschließlich aus dem Westen und Nordwesten. Stärkste Bildhauerpersönlichkeit für EG (wie für viele andere Zeitgenossen) war sicherlich Nikolaus Gerhaerdt von Leyden (NGvL, ca. 1430-1473, Leiden, Straßburg, Wien).

Oberrheinische Motive aus der Malerei v.a. durch Kupferstiche vermittelt, weniger durch Holzschnitte. EG übernahm besonders häufig Motive aus Stichen des Meisters E.S., v.a. das vorgestreckte Bein wird häufig zitiert. Bei Aresinger-Stein Übernahme von vier Motive aus E.S.-Stichen und ein Motiv aus Stich von Israel van Meckenem.


Der Stil der „verschränkten Bewegung“

NGvL erschloß neue Möglichkeiten für die Skulptur, Raum in sich zu bergen: „Ein durchspielter, von verkörperten Bewegungslinien durchschraubter Raum.“ (Wilhelm Pinder 1929, zit. nach JR, S.43). Diese Errungenschaften NGvLs – bezeichnet mit der Chiffre der „verschränkten Bewegung“ - bildeten die entscheidende Grundlage für EGs künstlerische Entwicklung. Ableitung des Stils der VB offensichtlich aus der burgundischen Hofkultur. Der prunkvolle burgundische Hof war im 15. Jahrhundert in Europa tonangebend. Kleidung und Art der Höflinge sich zu bewegen zeichneten sich durch übertriebenen Pomp bzw. gezierte Gespreiztheit aus. Besonders auffällig: Der gezierte Schrittstand („Burgundisches Schreiten“) : Das linke Bein wird um 90 Grad versetzt mit der Fußspitze zuerst vor das rechte Bein gesetzt. Häufig werden Nebenfiguren mit dieser Pose in Gemälden, Reliefs und Skulpturen dargestellt, z.B. Dreikönigsalter von Rogier van der Weyden in München. Diese Pose schien die Zugehörigkeit zu hohen höfischen Kreisen und das entsprechende Lebensgefühl auszudrücken.
Durch die Übertragung der VB auf die Skulptur kann der Künstler den Figuren eine neuartige raumgreifende Körperlichkeit (Plastizität) und Dynamik verleihen. Ausgehend vom rechten Winkel des Schrittstandes entsteht Raum zwischen Rumpf und Gliedmaßen sowie eine schraubende Drehbewegung um die eigene Achse.
Der Stil der VB breitet sich – wohl eingeführt durch NHvL (Nördlingen 1462) – rasch in Süddeutschland aus (ebenso wie am Oberrhein usw.).

„Die Beine sind voreinander gekreuzt; der Oberkörper ist vornüber gebeugt oder zurückgeworfen und dreht sich zugleich seitwärts; die Schultern sind gegeneinander versetzt: während die eine angehoben ist, senkt sich die andere. Die Drehung setzt sich fort in der Haltung des Kopfes, sei es, dass er die Drehung des Oberkörpers weiterführt, sei es, dass er sich zurückwendet Auch die Arme haben daran Anteil, sie sind angewinkelt oder greifen nach den verschiedensten Seiten aus. Immer entsteht eine die ganze Gestalt erfassende Drehbewegung.“(Müller-Meinigen 1984, S. 50)


Künstlerische Qualitäten Grassers

„Für EG bedeutet der Stil der VB eine zu Beginn seiner Schaffenszeit bereits ausgebildete Stiltendenz (...) Grasser erhob den Stil zu einer wichtigen – aber für ihn allein nicht spezifischen – Eigenschaft seines Werkes. Mit seiner Figurengruppe der ‚Moriskentänzer‘ führt er die Möglichkeiten des Stils der VB ihrem Höhepunkt zu.“ (46) „Bis ins 16. Jahrhundert hinein (...), als in der Öffentlichkeit diese Körperhaltung den Höhepunkt ihrer Beliebtheit längst überschritten hatte, hielt Grasser an der Stilmöglichkeit der verschränkten Bewegung fest.“ (47)

„Grasser griff offensichtlich die Grundhaltung der VB nicht einfach nur deshalb auf, weil sie aktuell war und der Markt dies geboten hätte.“ Vielmehr „hat sich Grasser als Bildhauer an die Spitze dieser Tendenz gesetzt, die VB als Kunstform auf seine hohe Ebene gehoben und die Ausdrucksmöglichkeiten dieser Grundhaltung optimal und maximal verwirklicht.“ (56) „Die VB gehört bei EG zu den starken Elementen, mit denen er seine geschnitzten und gehauenen Bilder schuf.“ (vgl. auch Petrus: Sitzfigur mit Spreizschritt-Beinhaltung)

(51) EG befolgt technisch-stilistisch das Prinzip der „sektoralen Zweischaligkeit“ (Baxandall, zit. nach JR S.51) [trifft für Moriskentänzer aber nur bedingt zu!]: Skulptur wird aus einem frischen Lindenholzstamm geschnitzt (weicher und daher leichter zu bearbeiten). Um dem unvermeidlichen Schwinden und Reißen zu begegnen, wird die Figur rückwärtig stark gehöhlt und gestzalterisch zerklüftet ( tiefe, dünne Faltenstege usw.), so dass der Querschnitt etwa dem einer gespreizten Hand entspricht (Analogie zur „Ciromantie“, Handlesekunst). Nach Schlagen des Baumes (am besten im Dez. wg. geringerer Anfälligkeit gg. Wurmfraß) musste sehr schnell gearbeitet werden, um den in den ersten Wochen nach dem Fällen auftretenden Spannungen im Holzes zuvorzukommen.

(53) Physiognomien: Unideale Gesichter, das Gefällige meidend mit starkem Hang zur Typisierung (Analogien/Austauschbarkeit zwischen verschiedenen Figuren EGs, z.B. zw. MTs und sakralen Skulpturen!). Mglw. beschreiben die stark profilierten Physiognomien EGs durch Konventionen festgelegte Charaktere [noch nicht bewiesen!, es fehlen zeitgenöss. Quellen, jedoch wenig später zahlreiche Litaratur zur Phys.] Auffallend: unverwechselbare Nasenform bei EGs Figuren [wie wurden sie damals empfunden?]

Gewand: Mit Ausnahme der MT[!] ist das Gewand bei weitem nicht so sehr Ausdrucksträger wie z.B. bei Veit Stoß. Keine erstrangige Rolle als Bildelement. Allg. um 1500 verselbständigt sich die Entfaltung des Gewandes (z.B. V.Stoß) und löst sich Dekoration (Gewand, Gesprenge usw.) vom Gehalt.

(54) Polychromie: Kaum Werke EGs mit urspr. Fassung erhalten, daher kaum Kenntnis darüber, welchen Stellenwert die Polychromie bei Werken EGs spielte

„Raumgehalt und Plastizität sind in Grassers Werk Kategorien, die untrennbar zusammengehören.“ (55) Durch Ausprägung von Polaritäten (konvex – konkav, Körper – Hohlraum, hell – dunkel usw.) entsteht Körperlichkeit.

(56) Autonome Plastik? Obwohl nirgends im Werk EGs die Nische als Existenzort für seine Figuren auftaucht [MTs??] hält er die Grundkonstitution ein, die wir von spätgotischer Skulptur gewohnt sind: unterschiedlich starke Bindung an die Fläche, Halt der Figuren zwischen Sockel und Baldachin [vgl. MT!]
„Die Neigung Grassers lag wohl bei der vollfigurigen Darstellung. Häufig unterschnitt er Reliefs, so auch bei den Wappenschildern für das Tanzhaus in München.“ (57)


Markenzeichen und Stilmerkmale im Werk Grassers

(59) Vorgestrecktes Bein bei Sitzfiguren (Hl. Petrus). Typisierung: besonders weibliche Gesichter ähneln sich –in diesem Punkt größere Nähe zu Multscher, Erhard oder Pacher als zu NGvL (eher individuelle Gestaltung). Gesichter: starke Nasolabialfalte, starke betonung der Kinnbacken und Backenknochen, kräftig entwickelte nasen und sehr schmale Oberlippe. Augen werden zu Trägern des Seelenlebens und der wechselnden Empfindungen, vgl. MT!. Starkes Eigenleben der Haare: nicht summarisch zusammengefasst, sondern jede Locke, Strähne ist eigene plastische Einheit  starke Vitalität [MTs: nur Hochzeiter bzw. Mohr! These: bei übrigen MTs stark differenzierte Hüte/Kopfbedeckungen übernehmen Rolle der Haare?].

Wirdererkennbarkeit der künstlerischen Handschrift war damals wichtig, um erfolggreich am Markt zu sein: „Ausbildung von wiedererkennbaren Gesichtstypen, die wie Markenzeichen wirken musste, war wohl marktgerecht“ (62) [ bewusste Absetzung vom Vorbild NGvL aus Marketinggründen??]

Auffallend große Anzahl von Werken EGs, die abseits der bildhauerischen Routine lagen  Vermutung: “Wann immer Auftraggeber von einem Schnitzer das Ausgefallene, Neue und besonders Schwierige erwarteten, baten sie Grasser um Angebot und Entwurf.” (63)

Im Unterschied zu Riemenschneidern u.a. bedeutenden Bildhauern bzw. Malern des Spätmittelalters betrieb Grasser keine “Skulpturenfabrik” (64)  Exklusivität EGs!

Rang Grassers: „In München war Grasser der bedeutendste unter den zünftigen sieben Bildschnitzermeistern.“ (72) Dies gilt auch unagbhängig von den MT. Abgesehen vom Zyklus der Zwölf Apostel in Blutenburg und dem Kenotaph der Wittelsbacher (sog. Kaisergrabmal) „wußte Grasser die großen Aufträge an sich zu ziehen“ (72). „Formal dem Meister der Blutenburger Apostel mindestens ebenbürtig, übertraf ihn Grasser an Originalität der Bildideen und mit einem intensiveren Verständnis von Bild und Betrachter.“ (72/73)
Das Werk Grassers zählt „in Deutschland zu den allerersten. Von allen aber ist Grassers Werk das vielseitigste und originellste.“ (75)

Bezugsrahmen: Michael Erhart (Schwaben; „große Eleganz in Haltung und Auftreten“, „fein abgestufte Stimungen“ (73) „lyrische Skulptur“ (74)), ebenso wie Veit Stoß (Krakau) um einige Jahre älter als EG. Riemenschneider (ca. 10 Jahre jünger)

Kritische Sicht: nach ca. 1480 kaum stilistische Weiterentwicklung mehr, Stagnation – was damals aber nicht untypisch war. Zudem scheint sich EG zunehmend auf Tätigkeit als Bau- und Werkmeister verlegt zu haben.


H. Busch: Plastik der Spätgotik und Renaissance

Seit 1350 (Beginn der Neuzeit lt. Limburger Chronik) Entdeckung des Menschen. Im MA keine individuellen Züge dargestellt, nur Typen, die durch symbolische Zeichen (Krone, Mitra usw.) zu Amtsportraits geworden waren. Nach 1350 aber Wandlung der Plastik zur Physiognomik; Portraits unter Betonung der physiognomischen Besonderheiten (z.B. Verwendung von Totenmasken!).

(VI) Seit 14. JH. waren sakrale Neubauten „fast durchweg städtische Pfarrkirchen bürgerlicher Gemeinden. Ihre Skulpturen wandten sich nicht mehr repräsentativ nach außen, bereicherten nur noch selten die Fassaden, sondern sammelten sich auf den Altären, in Chören und Nebenkapellen sowie am Chorgestühl. Sie waren nicht mehr von von wandernden Meistern aus den Bauhütten in Stein gemeißelt, sondern von seßhaften bürgerlichen Zunftmeistern überwiegend in Holz geschnitzt.“
„Die wichtigsten Trägerbder Kunst wurden neben der Kirche die Zünfte oder aber das Patriziat, das Großbürgertum. (...) Der bürgerliche Unternehmer denkt nicht traditionell, sondern rationell. Er will nicht in der Überlieferung bleiben, sondern sucht das Neue, das er, nicht mehr auf Ideen fußend, vom ‚Boden der Tatsachen‘ aus ausgeht, der Realismus. (...) Die Gotik war spiritualistisch gewesen, hatte ihre Formen aus den christlichen Gehalten verdichtet, und neben diesen war die Tradition entscheidend gewesen. Jedes Werk war aus dem vorhergehenden entwickwelt. (...) Frührenaissance und Spätgotik haben jetzt das gemeinsam, daß sie weniger aus der Überlieferung als aus der Natur, aus der Beobachtung der Wirklichkeit, schöpfen.“
Im Mittelalter haben Künstler Zeichen für Begriffe verwandt, „die einst die Griechen und Byzantiner aus der Natur gewonnen hatten. Jetzt trat an die Stelle der Begriffszeichen die aus der Realität gewonnene Anschauung.“
„Das mittelalterliche Kunstwerk hatte durch seine Heiligkeit ergriffen. Seit 1400 fesselt die Kust durch ihre Natürlichkeit. Der Gewinn an Menschlichkeit hatte aber notwendig einen Verlust an Heiligkeit zur Folge. (...) Die biblischen Szenen hatten im Mittelalter einen irrealen Raum um sich. Jetzt konstruiert die Zentralperspektive den diesseitigen. (...) Besonders in Deutschland bekommen die heiligen Gestalten die Züge der Bürger.“ Das an die Spitze der Stadtstaaten gelangte neue Großbürgertum nahm (besonders in Italien) „seignorale Züge“ an. Es glich sich den Fürsten an, die andere Staaten beherrschten. „Beide unterhielten zur Mehrung ihres Ruhmes Humanisten und Künstler.“ (VI/VII) „Eine neue Aristokratie bildet sich, deren Tugend die virtù, die edle Männlichkeit, und deren Ideal der uomo universale, der allseits gebildete Mensch ist, wie ihn Leone Battista Alberta und Leonardo da Vinci vorlebten. Der herrscherliche Mensch ist durch Humanismus und Urbanität erzogen. Er erscheint am glänzendsten in der Familie der Florentiner Medici (...). (...) Diesem Großbürgertum war nicht mehr der intime Realismus, sondern ein repräsentativer Idealismus gemäß, in dem das zu einer Bildungsaristokratie aufgestiegene neue Patriziat seine Ideale, zumal die in der Antike gesehene Schönheit, verwirklicht sah.“
Europa: Noch sind die Themen meist die ererbten christlichen, aber ihre Gestalten erhalten eine autonome Schönheit, geben nicht mehr wie in der Mystik die Erlösung des Menschen von seiner Erdgebundenheit, sondern die Vollendung in dieser.“

(VIII) (Mystik, Weicher Stil um 1400; Ausdruck vieler Figuren ist schwärmerische Verzückung; Blüte besonders in Böhmen/Ost- und Westpreußen) Um 1450 löst ein „starrer Stil“ den weichen ab – „von nun an teilen sich die Wege Italiens und des Nordens“. 1470 geht durch Europa ein „Gegenstoß des Mittelalters“ (Savonarola usw.). „Die Leiber recken sich; die Glieder werden schmal, verschränken sich und greifen in den Raum, der zu ihrer Funktion wird. Die Beine schreiten tänzerisch. Die Schuhe laufen in lange Spitzen aus. In den Tänzern des Erasmus Grasser, die die Maureske, einen aus dem Orient stammenden Tanz, aufgenommen haben, erreicht dieses Greifen der Glieder sein Äußerstes. Das Kleinbürgertum wird hier dionysisch. Seit 1490 etwa beruhigt sich dieser erregte Stil.“

Flügelaltar


PKG 7: Kunsthandwerk im Spätmittelalter

(311 ff.) Im 15. Jhd. eine besondere Vorliebe für das kleine, zierliche Format und eine auffallende Schmuckfreudigkeit. Im 14. Jhd. noch an Kathedralkunst gebunden, reflektierte scholastische Gelehrsamkeit. Im 15. Jhd. erlangt das Khw. weitgehende Autonomie.

! „Charakteristisch ist die Austauschbarkeit gemalter und plastischer Bildgedanken, besonders im Bereich des Andachtsbildes...“

! „Über alle Grenzen Europas hinweg entstand schon im letzten Drittel des 14. Jhd. eine neue Klasse, deren Zusammengehörigkeit sich in erlesenen Lebensformen und einem äußerst verfeinerten Geschmack dokumentierte. In Frankreich und Böhmen war es vornehmlich die hohe Aristokratie, die als Mäzen auftrat, in Italien und Deutschland das städtische Patriziat. Es ist aufschlussreich, wie die vom Adel geprägten international anerkannten Lebens- und Kunstformen während des 15. Jhds. zunehmend vom städtischen Bürgertum adaptiert wurden.

(312) Übergang weicher Stil zu Spätgotik: Der höfische Stil wurde „um etwa 1430/40 von einer vorwiegend bürgerlich gesinnten Richtung abgelöst, die man als spätgotischen Frealismus bezeichnen kann.“

Burgundisch/Pariser Hofstil: „Seit dem ausgehenden 14. Jhd., als die Söhne Johanns des Guten mit einem unbeschreiblich prunkvollen Hofzeremoniell die „burgundische Epoche“ herbeiführten, entwickelte sich Paris zunehmend zu einem kosmopolitischen Sammelbecken. Besonders düdniederländisch-flandrische Einflüsse machten sich geltend. (...) so dass ein zwar reich facettierter, aber doch einheitlicher Hofstil entstand, der für weite Teile Europas vorbildlich wurde.“


Spätmittelalterliche Plastik vs. Quattrocento

(263) Vom spätgotischen Realismus zum spätgotischen Barock: „Zwischen 1430 und 1440 setzte einradikaler Umschwung von den schönlinigen Kurven des Internationalen Stils zu den spröden Knitterfalten der Spätgotik ein. Er wurde von einer neuen Welle des Realismus begleitet...“ Einfluss von Malern wie Rogier v.d.W. usw. „Oft nur indirekt durch Zeichnungen und Graphik, etwa durch Kupferstiche des Meisters E.S. vermittelt (...) führte der Einfluss der flämischen Künstler zu einer Fülle regionaler Spielarten.“

Nikolaus Gerhaert „führte die Darstellungsmittel der Dramatik uns Bewegung ein, die im letzten Viertel des Jahrhunderts den ‚spätgotischen Barock‘ in der deutschen Plastik ausbilden halfen, wie ihn die Bildwerke von Pacher, Stoß und Kriechbaum dokumentieren.“

(263/264) Italienischer Einfluss in Süddeutschland: Michael Pacher hat wohl in den fünfziger Jahren Padua, Mantua und Ferrara besucht – in seinen Gemälden Anklänge an Mantegna. Dennoch kaum Übernahmen der ital. Frührenaissance. Erst kurz vor 1500 wird der spätgotische Stil zunehmend von den Errungenschaften der Renaissanc abgelöst.

(264) Die Entwicklung der freistehenden Plastik in Italien: „Es war die neue Vorstellung vom Menschen, verkörpert in der wiedererweckten Idee von der selbständigen, freistehenden Statue, die in Florenz im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts konzipiert wurde.“ Das übrige Europa brauchte fast 100 Jahre, um die Quattrocento-Plastik zu verstehen (evtl. als heidnische Abbilder missverstanden). David von Donatello um 1430, erste völlig autonome Statue in nachantiker Zeit; darauf angelegt, von allen Seiten betrachtet zu werden.

Das neue Menschenbild musste (in der italienischen Frührenaissance) von den Bildhauern geschaffen werden, bevor es in der Malerei in Erscheinung treten konnte. „Dies aber verlieh der Plastik einen Rang und eine Geltung, die sie seit der klassischen Kunst Griechenlands nicht mehr erlangt hatte.“ sozio-politische Gründe: Bürgerstolz in Florenz, zahlreiche öffentliche Unternehmungen mit viel plastischem Schmuck; daher fehlte es nicht an anspruchsvollen Aufgaben für die Bildhauer.

Idolgefahr im Mittelalter: In Italien stand die menschliche Figur als Thema im Mittelpunkt, daher größere Wirklichkeitsnähe als im (spät)mittelterlichen Europa nördlich der Alpen. Dort war vollplastische Figur eher suspekt (siehe Frühchristen, Idolgefahr). Als die Großplastik im 11. Jhd. wieder aufgegriffen wurde, musste sie deutlich von ihren heidnischen Vorläufern abgesetzt werden, indem man sie in die Struktur des Kirchengebäudes einbezog. (265) „Die gesamte mittelalterliche Plastik ist grundsätzlich ‚angewandte Kunst‘, sie erfüllt eine diendende Funktion, sei sie nun in einen Architekturverband eingegliedert oder innerhalb kleinerer Komplexe“ wie Kanzeln, Altären usw. „Selbst ein Andachtsbild konnte nicht unabhängig für sich bestehen, es benötigte ein Gehäuse.“

(265) Statuen des Quattrocento zwar noch immer meist an Architektur gebunden, doch es hat den Eindruck, als könnten sie ihre Nischen jederzeit verlassen (z.B. Donatello, St. Georg).

(266) Wiederentdeckung der Kleinplastik: Im letzten Drittel des Quc. wird in Florenz mit der Bronzestatuette eine weitere Gattung der antiken Plastik entdeckt. Sammelobjekte für private Sammler!


Skulptur in Osteuropa (bzw. Mitteleuropa)

(267/268) Trotz Verzicht auf Kathedralsystem erhielten sich Reste der traditionellen Beziehungen zwischen Skulptur und Baukunst. „Ein Teil der Plastiken wurde wahrscheinlich noch im Rahmen des alten Bauhüttenverbandes ausgeführt, während andere Bildwerke eher wandernden, aus den allmählich sich auflösenden Dombauhütten hervorgegangenen Meistern zuzuschreiben sind.“

! „Die Plastik der osteuropäischen Länder gehörte im 15. Jhd. schon fast ausnahmslos der Stadtkultur an.“ (267)

(268) Zu einer Hauptaufgabe des Bildhauers wurde im 15. Jhd. in Mittel- und Osteuropa das Altarretabel aus Holz. „Hingegen beauftragte man die Künstler nur höchst selten mit der Anfertigug einer freistehenden Figur.“

! Peter Parler: „entscheidende Wendung vom Allgemein-Typischen zum Individuell-Charakteristischen des menschlichen Gesichts.“  Spezifisch osteuropäische Variante des Internationalen Stils um 1400.

(269) „Noch in der Spätphase des Weichen Stils begann ein wichtiger Erneuerungsprozess mit dem Eindringen realistischer Tendenzen. (...) Die meisten und zugleich bedeutendsten Neuerungen leiten sich indessen vom analytischen Realismus der Niederländer und Italiener her...“

! In den 70er Jahren entscheidende Impulse, indem würdige und zugleich diesseitsbezogene Menschlichkeit in die Darstellungen eingeht. Veit Stoß: vereinte „(...) Sinn für Natürlichkeit mit dem Erhabenen und das Innerlich-Geistige mit einer nach außen wirkenden, wuchtigen Dramatik (...)“. Im letzten Viertel des 15. Jhds. und der ersten Jahrzehnte des 16. Jhd. haben sämtliche osteuropäische Bildhauer die expressiven Elemente der neuen Richtung aufgenommen. Erst spät dringen ital. Errungenschaften des Quc. ein.


H. Schindler: Bayerische Spätgotik

(HS, S.361) „Das Schaffen des Schwaben Hans Multscher (1410 in Reichenhofen - 1467 in Ulm) leitet eine neue Phase der deutschen spätgotischen Skulptur ein. Multscher wendet sich von der höfisch-weichen Linienmelodik der Zeit ab und macht den Weg frei zum Realismus eines lebensnahen, selbstbewußten, bürgerlichen Empfindens. Seine Wirkung reicht bis Ingolstadt an den Hof Herzog Ludwigs des Gebarteten [vgl. Modell für das Grabmal HLdG von 1435, im Bayer. Nat.mus.] und über Augsburg nach Landsberg am Lech. (...) Für die Bildhauerkunst der siebziger Jahre [die Lehrjahre Grassers u.a.] fehlt in Oberdeutschland die entscheidende, anregende Gestalt, die die neuen Werke des Südens und des Nordens aus eigener Anschauung gekannt hätte. Umso bedeutender muss die Wirkung des Niederländers Nikolaus Gerhaerts von Leyden eingeschätzt werden.“

(362) Die Altarplastik im schwäbisch-fränkischen Raum gliedert sich in zwei Gruppen: den Multscher-Kreis mit eher „kubisch-schweren, etwas biedere Standfiguren um 1466“ (z.B. ehem. Hochaltar von St. Katharina im German. Nat.mus.) und die Gerhaert-Schüler, z.B. Kreuzaltar der Nördlinger St.-Georgs-Pfarrkirche – im Flug heraneilende, trauernde und betende Engel: „an Liebreiz und Freiheit der Bewegung in der deutschen Kunst wohl kaum übertroffen“ (Bode, zit. nach HS S.362). Hier liegen die Voraussetzungen für Grassers MTs !
In Augsburg sind Michael Erhart (kommt aus Ulm, gest. nach 1522 in Augsburg?) und Hans Beierlein tätig. Von Erhart stammt z.B. das Simpertusgrab in Augsburg (1492)

(363) Erasmus Grasser kommt nach Wanderjahren (wahrscheinlich nach Wien in den Kreis NGvLs) in das „vital aufstrebende München“. Hier fand EG ideale Voraussetzungen: „einen generösen kunstfreudigen Hof und eine ehrgeizige Bürgerschaft mit sehr bestimmten Vorstellungen und Ansprüchen an die Kunst“. Dort evtl. „aus Brotneid“ Widerstand der Zunft gegen seine Niederlassung. Die Moriskentänzer „sind die herrlichste Verkörperung altbayerischer Lebensfreude und Lust am Komödiantischen“. „Die Figuration ist ‚allsichtig‘, in einem einzigen Moment erfasst und doch mit einer Hauptansicht rechnend“ [mit welcher?]

(364) „Das Erstaunliche ist die Breite der jetzt zur Kunst und zur Bildung drängenden Schicht. es sind vorwiegend Auftraggeber aus dem Bürger- und Bauernstande [?!], die den Adel und die Geistlichkeit in der Kunstförderung nachahmen und die auch die neue bildnerische Sprache fordern, eine Sprache, die nicht mehr geziert [?! vgl. burgundisches Schreiten] und fromm zu sein hat, sondern freimütig, gemeingültig, menschennah, mit einem Wort: volkstümlich.“ [?!] „Fast in jeder Kleinstadt, jedem Marktflecken findet sich eine Bildschnitzerfamilie (...), Künstler, von denen wir nicht einmal den Namen kennen (...)“.

(367) Veit Stoß gilt nach früher Begegnung mit NGvL als dessen Schüler. Selbständiges Schaffen ab ca. 1477 in Krakau, wo er durch Nürnberger Kaufmannsschicht gefördert wurde. Im Krakauer Marienaltar zeigt sich „dramatisches Leben, innere und äußere Aktion, Leidenschaft“ und „szenisches Pathos“, wobei jede Figur selbständiger Ausdrucksträger ist. Sein weniger bekanntes Werk als Grafiker weist auf die engen Querverbindungen zwischen Plastik und Grafik hin.

(370) Adam Krafft (Nürnberg, 1455 – 1507): beginnt als Spätgotiker und schwenkt dann Schritt für Schritt in die neue Stilrichtung ein. Sakramentshaus in St. Lorenz (ca. 1493-94): Verbindung von üppigem rankendem gotischem Architekturzierwerk und zur Selbständigkeit neigenden Figuren, z.B. Trägerfiguren (u.a. angebl. Selbstdarstellung).


Darstellungen von Orientalen bzw. Mohren in spätmittelterlicher Kunst

Drei Könige (Weise)
Oft auch als Magier bzw. Sternendeuter (!) bzw. Philosophen und Zauberer verstanden. Auch als Vertreter der drei damals bekannten Erdteile (Asien , Europa, Afrika) oder der drei Lebensalter. Bereits in frühchristlicher und karolingischer Kunst werden die 3K als Orientalen mit phrygischer Mütze wiedergegeben. Im SpätMA wird die Szene der Darbringung reich entfaltet, wahrscheinlich unter dem Einfluss geistlicher Schauspiele (!). Ausschmückung mit Gefolge, Kamelen, Affen (!), Hunden (!) usw.
Dartellungen als Sternendeuter: die Magier vor Herodes, Erscheinung des Sterns auf dem Weg nach Bethlehem.
Caspar (der Jüngste) wird besonders häufig im SpätMA (ab 1300) als Mohr dargestellt.
Angeblich auch Bezug auf die drei Söhne Noahs, wobei Ham als Mohr gilt.
Abb.: Hl. König Caspar, Standfigur im Metropolitan Museum New York, Oberrheinisch/Schwäbisch, vor 1489 [*UK S.37]

Mauritius
War ritterlicher Anführer des afrikanischen Teils der Thebäischen Legion (christl. Märtyrer). Hl. Mauritius war ein Ägypter. Aus seinem Namen (lat. "Maurus" heißt "Nordafrikaner") leitet sich das mittelalterliche dt. Wort "Mohr" ab. Und: Mauritius wurde (im 6. Jhd.) der Schutzpatron Burgunds! (ob das auch noch für das Burgund des 15. Jhd. zutraf, weiß ich nicht, würde aber zu der ganzen Moriskenkultur am burg. Hof passen.
Unter den Saliern wurde er auch Reichspatron (passt wieder ganz gut zu Maximilian).
Er erscheint im MA als Ritter mit Schild, Kanze und Fahne; größte Zahl der Darstellungen im 14. und 15. Jhd.
Abb.: Mathias Grünewald, Gemälde (gemeinsam dargestellt mit Erasmus), 1518/20, Alte Pinakothek München
Mathis Nithart Gothart, Mauritiusdarstellung, Tafelbild von 1526, Alte Pinakothek München

(Textbaustein Orientalismus:)
Eine Globalisierungswelle erfasst Europa im späten Mittelalter: Kreuzzüge, Wallfahrten und Fernhandel tragen den Orient - oder was man dafür hält - bis in entfernteste Winkel. Propheten mit Turban, Könige mit Kamelen und dunkelhäutige Magier - eine bunte Karawane zieht durch biblische Szenen. [vgl. Abb.: ...] Edle „Mohren“ (von lat. Maurus = Nordafrikaner) [vgl. Abb.: Caspar/Heilige Drei Könige und hl. Mauritius] stehen neben verschlagenen Schergen.

Zusammengestellt nach: Frau Dr. Brandl-Ziegert, StDin am Erasmus-Grasser-Gymnasium München, anläßlich einer Ausstellung im Erasmus-Grasser-Gymnasium (2004)

http://www.dasegg.musin.de/grasser.htm


Um 1450 Geburt Erasmus Grassers, vermutlich in Schmidmühlen bei Burglengenfeld (Oberpfalz)
Bis 1473 Lehr- und Wanderjahre
Um 1477 Heirat mit Dorothea Kaltenprunner
1475 Erste urkundliche Erwähnung Erasmus Grassers in München: Eingabe der Meister der Zunft St. Lukas der Maler, Schnitzer, Seidennäher und Glaser Antrag an den Rat der Stadt, um die Aufnahme Grassers in die Zunft zu verhindern.
1477 – 1480 Erasmus Grasser schnitzt im Auftrag der Stadt 11 Wappen, Sonne, Mond und 16 „pilden“ für den Tanzsaal des Rathauses.
Am 14. August 1480 erhält Erasmus Grassser für seine Arbeit 150 Pfund und 4 Schillinge (Stadtkammerrechnung).
1480 Erasmus Grasser steht zum ersten Mal der Zunft vor.
1482 Er signiert und datiert das Rotmarmorgrabmal Ulrich Aresingers in der Peterskirche zu München.
Um 1482 Erasmus Grasser fertigt den Heilig-Kreuz-Altar für die Pfarrkirche München Ramersdorf an.
1487 Erasmus Grasser plant das Kloster Mariaberg bei St. Gallen am Bodensee.
1492 Kaiser Maximilian I. stellt einen Geleitbrief für Grasser nach Schwaz / Tirol aus, um die dortige Stadtpfarrkirche zu erweitern.
1493 Grasser arbeitet an sieben Sandsteinfiguren für das Heilige Grab im Freisinger Dom.
1494 Grasser trägt in das Buch „Schatzbehalter“ handschriftlich seinen Namen ein. (Heute in der Münchner Staatsbibliothek)
1498 - 1512 Grasser ist mit der Sanierung der Saline Reichenhall beschäftigt.
Um 1500 Grasser arbeitet an der Sitzfigur des Heiligen Petrus für den Hochaltar in der Münchner Peterskirche.
Um 1502 In Grassers Werkstatt werden Figuren für das Chorgestühl in der Münchner Frauenkirche geschnitzt.
Um 1505 Für Reichersdorf / Miesbach schafft Erasmus den Achatius-Altar.
1507 Herzog Albrecht IV. nennt E. Grasser „obristen paw- vnnd werchmaister vnnsers Salczpronns zu Reichenhall“ und stiftet ihm für sparsames Haushalten beim Salinenbau eine jährliche Leibrente von 80 Gulden, freies Hofkleid und Freitisch bei Hof.
1508 Grasser versteuert als reichster Künstler Münchens ein hohes Einkommen und muss – wohl auch auf Grund seiner Heirat – als einer der wohlhabendsten Bürger Münchens gelten. Er besitzt in der vorderen Schwabinger Gasse ein Haus. (Eckhaus Residenzstraße / Perusastraße, das jetzige „Zechbauer-Haus“).
1512 –1518 Erasmus Grasser ist als angesehener und einflussreicher Bürger Mitglied des Äußeren Rates der Stadt München.
1518 Tod Erasmus Grassers in München.

 

twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this topic

powered by Antville powered by Helma