Mögliche kosmologische Bedeutungsebenen im Bildprogramm des Tanzhauses:
1) Feudales Weltbild aus bayerisch-wittelsbacher Sicht: Kaiserwappen Ludwigs des Bayern steht (gemeinsam mit den übrigen 10 bzw. 99 Wappen) für die irdische (bayerisch-kaiserliche), Sonne und Mond für die himmlische (göttliche) Sphäre.
1) Weltbild nach Nikolaus von Kues allgemein: Erde als Planet unter Planeten; evtl. Bewegungs-Prinzip („Wie also die Bewegung der Himmelskoerper aus der Himmelsbewegung, so kommt die Lebensbewegung aus dem Beweger des Himmels“); evtl. auch die von Cusanus angenommene Existenz bewohnter extraterrestrischer Planeten (=goldene Nägel?)
2) Josephs-Traum: Joseph und 11 Sterne (Kaiserwappen, 10 übrige Gewölbewappen), und Sonne/Mond.
3) Epigramm Konrad Celtis („Die Sterne springen um die Erde wie die Morisken um das schöne Weib“)
Doppelfunktion der Moriskentänzer als Sterne und Planeten
Sterne:
10 erhaltene MT und vermutete verschollene Figuren (Narr, Spielmann, 4 weitere MT) als Sterne im Sinn von Konrad Celtis. [Die Annahme, die polygonalen Basen der Moriskentänzerfiguren beinhalten einen Verweis auf ihre mgl. Eigenschaft als Sterne, halte ich für zu weit hergeholt; es sind unregelmäßige Gebilde, die eher an Erdschollen o.ä. erinnern, RL] Es sind unendlich viele Sterne, also gehören dazu auch die 11 Wappen und die goldenen Nägel im Gewölbe.
Die 11 Wappen beziehen sich vermutlich auf den Traum des Joseph („Sonne, Mond und elf Sterne neigten sich vor mir“). Die 11 Sterne/Wappen stehen vermutlich für 11 Territorien. Das (übergroße) Kaiserwappen Ludwigs des Bayern steht vermutlich sowohl für Joseph selbst als für einen der 11 Sterne.
Morisken als Planeten:
Das bis ins 15. Jhd. hinein vorherrschende Weltbild des Ptolemäus enthält die Erde als unbeweglichen Mittelpunkt des Universums und sieben um sie kreisende „Planeten“. Im Weltbild von Nikolaus von Cusa ist die Erde ein Planet unter anderen Planeten. Für die Erde (= Planet 1) könnte das Kaiserwappen gelten (Reich = Erde), das somit eine Dreifachrolle spielen würde (Joseph, einer der 11 Sterne, Planet Erde). Für die übrigen „klassischen“ 5 Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn) kommen theoretisch die übrigen 10 Wappen in Frage; da es aber doppelt soviel Wappen als Planeten gibt, ist dies unwahrscheinlich. Als weitere Möglichkeit für Personifikationen von Planeten kommen daher eventuell auch die verschollenen 6 MT-Figuren in Frage.
Nimmt man für den Planet Erde das Reichswappen an, bleiben für die sechs MT-Figuren jedoch nur noch klassische“ 5 Planeten übrig – also einer zu wenig. Spekulative Lösung: die sechste MT-Figur steht für einen der cusanischen extraterrestrischen Planeten.
Frau Welt = Planet 1 (Venus)
Spielmann = Planet 2 (z.B. Mars)
Narr = Planet 3 (z.B. Merkur)
Tänzer 1 = Planet 4 (z.B. Jupiter)
Tänzer 2 = Planet 5 (z.B. Saturn)
Tänzer 3= Planet 7 (z.B. extraterrestrischer Planet)
Wird das Reichswappen aber ausgeschlossen, müsste eine der fehlenden MT-Figuren den Part des Planeten Erde übernehmen.
Frau Welt = Planet 1 (Venus)
Spielmann = Planet 2 (z.B. Erde)
Narr = Planet 3 (z.B. Mars)
Tänzer 1 = Planet 4 (z.B. Merkur)
Tänzer 2 = Planet 5 (z.B. Jupiter)
Tänzer 3= Planet 7 (Saturn)
Andere Figuren als Planeten
Frau Welt als Venus kann als gesetzt gelten (vgl. zahlreiche Bsp. aus der Druckgrafik).
Spielmann und Narr gehören ebenfalls zum festen Moriskentanz-Personal und besetzen 2 weitere Planetenrollen. Bleibt für die restlichen 3 Planeten theoretisch die Möglichkeit, dass nicht weitere Tänzer, sondern andere Figuren die Himmelskörper personifiziert hätten – grundsätzlich denkbar wären Mitglieder des Herrscherhauses oder andere Zuschauer. Dies erscheint aber unwahrscheinlich, da im (nicht öffentlichen) Tanzhaus die Herrscher/ Zuschauer leibhaftig anwesend waren und nicht wie in Innsbruck nach außen für die öffentlichkeit dauerhaft repräsentiert werden sollten.
Frau Welt mit Dreifachrolle:
Als Preisrichterin/Frau Welt im Rahmen des Moriskentanzes, als Erde im Bild von Konrad Celtis (Mittelpunkt, um den die Morisken/Sterne springen) und als Planet Venus im Planeten-Zyklus der Moriskentanz-Figuren.
Fazit: Moriskentanz-Figuren spielen neben ihrer primären MT-Rolle eine weitere Doppelrolle Himmelskörper: als Sterne (Celtis-Bild) und als Planeten nach cusanischer Lehre (eine der vielen Schichten des kosmologischen Programms).
Exkurs:
Bis ins Mittelalter galt das spätantike Weltbild des Claudius Ptolemäus aus dem 2. Jhd.: Erde konzentrisch von Sphären umgeben: zuerst Elemente (Erde, Wasser, Luft, Feuer), dann sieben Kristallsphären, an welche die 7 „Planeten“ Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn geheftet waren bzw. die gegen den Uhrzeigersinn um die Erde kreisten; darüber eine weitere Sphäre mit Fixsternen (darunter 12 Sternbilder).
Nikolaus von Cusa: Die Erde ist nicht mehr der unbewegliche Mittelpunkt, sondern ein Planet unter Planeten (also insg. 6 Planeten: Erde, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn). Es kann auch nicht mehr von einem „äußersten Himmel“, einer alle anderen umfassenden Sphäre die Rede sein, denn der unendliche Raum hat keine Grenze. Auch der Gedanke, dass es einen Rangunterschied zwischen der Erde und den Himmelskörpern gibt, wird sinnlos. Cusanus entdeckte im übrigen die Achsendrehung der Erde. Er unterschied in seiner Erkenntnistheorie die sinnliche Wahrnehmung, den Verstand, die spekulative Vernunft und die mystische Anschauung durch Verschmelzung der Seele mit Gott. Die einzige sichere Wissenschaft ist die Mathematik. „Wie also die Bewegung der Himmelskoerper aus der Himmelsbewegung, so kommt die Lebensbewegung aus dem Beweger des Himmels.“
Erst Kopernikus (1473-1543) entwickelt modernes heliozentrisches Weltbild („Commentariolus“, 1512): Erde dreht sich mit den anderen Planeten um die Sonne.
Schon vor Kopernikus war der florentinische Gelehrte Toscanelli davon überzeugt, dass die Erde Kugelgestalt besitzt (Schreiben von 1474 über den Seeweg nach Indien).
Holzschnitt (undatiert, ca. vor oder um 1500?) aus Schulbuch (Geschichtliche Weltkunde, Diesterwg, Bd. 2, Frankfurt/Main 1981): Erde als Scheibe, darüber halbkugelförmige Himmelsglocke mit Sternen, Mond und Sonne. Am unteren Rand durchbricht eine Figur das Himmelsgewölbe und erblickt das Räderwerk, von dem Sonne, Mond und Sterne bewegt werden. ( Vor-Cusanisches Weltbild!) Sonne und v.a. Mond sind fast genauso abgebildet wie EGs Bildwerke aus dem Mü. Tanzhaus!] mgl. Hinweis auf vormodernes mittelalterliches Weltbild des Tanzhauses? (Analogie: Tonnengewölbe = Himmelsglocke, an der Sonne, Mond und Sterne „befestigt“ sind)
Bis ins 18. Jhd. waren außer der Erde nur 5 Planeten bekannt: Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn; Uranus wurde erst um 1800, Neptun 1864 und Pluto 1930 entdeckt.
Konrad Celtis, De chorea imaginum coelestium circa deam matrem, Epigramm eher nach 1480:
Maurisci ut circum pulchram saltant mulierem
Et vario gestu corpora quisque movet
Omnibus haec pulchra spondet gravitate favorem
Et resonante melo non sua membra movet
Candida per stabilem sic saltant sidera terram
So wie Morisken springen um das schoene Weib
und mit verschiedenen Gesten die Koerper bewegen
Und allen gewaehrt Gunst die wuerdevolle Schoene
und in der Musik die eigenen Glieder nicht ruehrend, ruhig verharrend
… so springen die Sterne um die Erde
[RL – Rohmeder 113, prägnante Kurzformel: „Die Sterne springen um die Erde wie die Morisken um das schöne Weib.“]
1) Feudales Weltbild aus bayerisch-wittelsbacher Sicht: Kaiserwappen Ludwigs des Bayern steht (gemeinsam mit den übrigen 10 bzw. 99 Wappen) für die irdische (bayerisch-kaiserliche), Sonne und Mond für die himmlische (göttliche) Sphäre.
1) Weltbild nach Nikolaus von Kues allgemein: Erde als Planet unter Planeten; evtl. Bewegungs-Prinzip („Wie also die Bewegung der Himmelskoerper aus der Himmelsbewegung, so kommt die Lebensbewegung aus dem Beweger des Himmels“); evtl. auch die von Cusanus angenommene Existenz bewohnter extraterrestrischer Planeten (=goldene Nägel?)
2) Josephs-Traum: Joseph und 11 Sterne (Kaiserwappen, 10 übrige Gewölbewappen), und Sonne/Mond.
3) Epigramm Konrad Celtis („Die Sterne springen um die Erde wie die Morisken um das schöne Weib“)
Doppelfunktion der Moriskentänzer als Sterne und Planeten
Sterne:
10 erhaltene MT und vermutete verschollene Figuren (Narr, Spielmann, 4 weitere MT) als Sterne im Sinn von Konrad Celtis. [Die Annahme, die polygonalen Basen der Moriskentänzerfiguren beinhalten einen Verweis auf ihre mgl. Eigenschaft als Sterne, halte ich für zu weit hergeholt; es sind unregelmäßige Gebilde, die eher an Erdschollen o.ä. erinnern, RL] Es sind unendlich viele Sterne, also gehören dazu auch die 11 Wappen und die goldenen Nägel im Gewölbe.
Die 11 Wappen beziehen sich vermutlich auf den Traum des Joseph („Sonne, Mond und elf Sterne neigten sich vor mir“). Die 11 Sterne/Wappen stehen vermutlich für 11 Territorien. Das (übergroße) Kaiserwappen Ludwigs des Bayern steht vermutlich sowohl für Joseph selbst als für einen der 11 Sterne.
Morisken als Planeten:
Das bis ins 15. Jhd. hinein vorherrschende Weltbild des Ptolemäus enthält die Erde als unbeweglichen Mittelpunkt des Universums und sieben um sie kreisende „Planeten“. Im Weltbild von Nikolaus von Cusa ist die Erde ein Planet unter anderen Planeten. Für die Erde (= Planet 1) könnte das Kaiserwappen gelten (Reich = Erde), das somit eine Dreifachrolle spielen würde (Joseph, einer der 11 Sterne, Planet Erde). Für die übrigen „klassischen“ 5 Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn) kommen theoretisch die übrigen 10 Wappen in Frage; da es aber doppelt soviel Wappen als Planeten gibt, ist dies unwahrscheinlich. Als weitere Möglichkeit für Personifikationen von Planeten kommen daher eventuell auch die verschollenen 6 MT-Figuren in Frage.
Nimmt man für den Planet Erde das Reichswappen an, bleiben für die sechs MT-Figuren jedoch nur noch klassische“ 5 Planeten übrig – also einer zu wenig. Spekulative Lösung: die sechste MT-Figur steht für einen der cusanischen extraterrestrischen Planeten.
Frau Welt = Planet 1 (Venus)
Spielmann = Planet 2 (z.B. Mars)
Narr = Planet 3 (z.B. Merkur)
Tänzer 1 = Planet 4 (z.B. Jupiter)
Tänzer 2 = Planet 5 (z.B. Saturn)
Tänzer 3= Planet 7 (z.B. extraterrestrischer Planet)
Wird das Reichswappen aber ausgeschlossen, müsste eine der fehlenden MT-Figuren den Part des Planeten Erde übernehmen.
Frau Welt = Planet 1 (Venus)
Spielmann = Planet 2 (z.B. Erde)
Narr = Planet 3 (z.B. Mars)
Tänzer 1 = Planet 4 (z.B. Merkur)
Tänzer 2 = Planet 5 (z.B. Jupiter)
Tänzer 3= Planet 7 (Saturn)
Andere Figuren als Planeten
Frau Welt als Venus kann als gesetzt gelten (vgl. zahlreiche Bsp. aus der Druckgrafik).
Spielmann und Narr gehören ebenfalls zum festen Moriskentanz-Personal und besetzen 2 weitere Planetenrollen. Bleibt für die restlichen 3 Planeten theoretisch die Möglichkeit, dass nicht weitere Tänzer, sondern andere Figuren die Himmelskörper personifiziert hätten – grundsätzlich denkbar wären Mitglieder des Herrscherhauses oder andere Zuschauer. Dies erscheint aber unwahrscheinlich, da im (nicht öffentlichen) Tanzhaus die Herrscher/ Zuschauer leibhaftig anwesend waren und nicht wie in Innsbruck nach außen für die öffentlichkeit dauerhaft repräsentiert werden sollten.
Frau Welt mit Dreifachrolle:
Als Preisrichterin/Frau Welt im Rahmen des Moriskentanzes, als Erde im Bild von Konrad Celtis (Mittelpunkt, um den die Morisken/Sterne springen) und als Planet Venus im Planeten-Zyklus der Moriskentanz-Figuren.
Fazit: Moriskentanz-Figuren spielen neben ihrer primären MT-Rolle eine weitere Doppelrolle Himmelskörper: als Sterne (Celtis-Bild) und als Planeten nach cusanischer Lehre (eine der vielen Schichten des kosmologischen Programms).
Exkurs:
Bis ins Mittelalter galt das spätantike Weltbild des Claudius Ptolemäus aus dem 2. Jhd.: Erde konzentrisch von Sphären umgeben: zuerst Elemente (Erde, Wasser, Luft, Feuer), dann sieben Kristallsphären, an welche die 7 „Planeten“ Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn geheftet waren bzw. die gegen den Uhrzeigersinn um die Erde kreisten; darüber eine weitere Sphäre mit Fixsternen (darunter 12 Sternbilder).
Nikolaus von Cusa: Die Erde ist nicht mehr der unbewegliche Mittelpunkt, sondern ein Planet unter Planeten (also insg. 6 Planeten: Erde, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn). Es kann auch nicht mehr von einem „äußersten Himmel“, einer alle anderen umfassenden Sphäre die Rede sein, denn der unendliche Raum hat keine Grenze. Auch der Gedanke, dass es einen Rangunterschied zwischen der Erde und den Himmelskörpern gibt, wird sinnlos. Cusanus entdeckte im übrigen die Achsendrehung der Erde. Er unterschied in seiner Erkenntnistheorie die sinnliche Wahrnehmung, den Verstand, die spekulative Vernunft und die mystische Anschauung durch Verschmelzung der Seele mit Gott. Die einzige sichere Wissenschaft ist die Mathematik. „Wie also die Bewegung der Himmelskoerper aus der Himmelsbewegung, so kommt die Lebensbewegung aus dem Beweger des Himmels.“
Erst Kopernikus (1473-1543) entwickelt modernes heliozentrisches Weltbild („Commentariolus“, 1512): Erde dreht sich mit den anderen Planeten um die Sonne.
Schon vor Kopernikus war der florentinische Gelehrte Toscanelli davon überzeugt, dass die Erde Kugelgestalt besitzt (Schreiben von 1474 über den Seeweg nach Indien).
Holzschnitt (undatiert, ca. vor oder um 1500?) aus Schulbuch (Geschichtliche Weltkunde, Diesterwg, Bd. 2, Frankfurt/Main 1981): Erde als Scheibe, darüber halbkugelförmige Himmelsglocke mit Sternen, Mond und Sonne. Am unteren Rand durchbricht eine Figur das Himmelsgewölbe und erblickt das Räderwerk, von dem Sonne, Mond und Sterne bewegt werden. ( Vor-Cusanisches Weltbild!) Sonne und v.a. Mond sind fast genauso abgebildet wie EGs Bildwerke aus dem Mü. Tanzhaus!] mgl. Hinweis auf vormodernes mittelalterliches Weltbild des Tanzhauses? (Analogie: Tonnengewölbe = Himmelsglocke, an der Sonne, Mond und Sterne „befestigt“ sind)
Bis ins 18. Jhd. waren außer der Erde nur 5 Planeten bekannt: Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn; Uranus wurde erst um 1800, Neptun 1864 und Pluto 1930 entdeckt.
Konrad Celtis, De chorea imaginum coelestium circa deam matrem, Epigramm eher nach 1480:
Maurisci ut circum pulchram saltant mulierem
Et vario gestu corpora quisque movet
Omnibus haec pulchra spondet gravitate favorem
Et resonante melo non sua membra movet
Candida per stabilem sic saltant sidera terram
So wie Morisken springen um das schoene Weib
und mit verschiedenen Gesten die Koerper bewegen
Und allen gewaehrt Gunst die wuerdevolle Schoene
und in der Musik die eigenen Glieder nicht ruehrend, ruhig verharrend
… so springen die Sterne um die Erde
[RL – Rohmeder 113, prägnante Kurzformel: „Die Sterne springen um die Erde wie die Morisken um das schöne Weib.“]
Erasmus - am So, 31. Oktober 2004, 11:53 - Rubrik: Kosmologisches